Sie war schwanger und landete plötzlich aus ihrer „Traumwelt“ auf dem Boden der Tatsachen.
Zunächst behielt sie alles für sich und machte ihr eigenes kleines Geheimnis daraus. Irgendwann konnte sie die Schwangerschaft jedoch nicht mehr verbergen oder bewusst verdrängen.
Die Angst vor Verurteilung, schwanger von dem aus Sicht ihrer Eltern „falschen“ Typen zu sein, verbunden mit der Angst, von ihren Eltern vielleicht vor irgendeine konsequenzreiche Wahl gestellt zu werden, ausgestoßen zu werden oder sich vielleicht für eine Abtreibung entscheiden zu müssen, wurde immer größer.
Irgendwann kam es zum offenbarenden Gespräch. Ein Gespräch wie in einem Richtersaal, sie die Angeklagte, ihre Eltern die Richter.
Fragen wie, „Warum hast du nicht aufgepasst?“, „Warum überhaupt dieser Typ?“, „Wie stellst du dir vor, wie das jetzt laufen soll?“, „Bist du dir im Klaren was das bedeutet?“, und, und, und…
Meine Mutter versuchte sich so gut es ging vor den Anschuldigungen, Angriffen und Vorwürfen, die sie auch als Erniedrigung empfand, zu verteidigen, um halbwegs unschuldig bzw. unverletzt aus dieser Situation herauszukommen. Aber auch mich unbeschadet da durchzubringen, denn für sie fühlte es sich an, als würde mein Leben auf dem Spiel stehen, da sie glaubte von ihren Eltern vor die Wahl gestellt zu werden, die Schwangerschaft abzubrechen oder eben die Gunst ihrer Eltern zu verlieren.
Sie glaubte, wenn sie mich behalten will, würde sie von ihren Eltern verstoßen oder ausgrenzt werden. Sie war aus ihrer damaligen Sicht noch auf sie angewiesen, zumindest wenigstens auf ihre Unterstützung. Für sie war es ein Kampf, ums Überleben, mein Überleben.
Ein tatsächlicher Schwangerschaftsabbruch stand so nie wirklich zur Debatte, aber sie glaubte, dass es so ist. Und so empfand sie auch sämtliche Urteile, denen sie sich ausgesetzt sah, wie auch alle Rechtfertigung die ihr abverlangt wurden.
Es war die Hölle, nicht nur für sie, interessanterweise auch für mich. Jedoch wusste ich bis zu meinem 35. Lebensjahr nichts davon. Auch nicht, dass ich offensichtlich dieses Szenario schon als Säugling vollständig miterlebt und dabei alle Ängste und alle Ohnmacht meiner Mutter selbst gespürt und für mich genauso erlebt habe.
Ich hatte nur ein Problem, ich konnte mich nicht äußern. Ich konnte ihr nicht zur Seite stehen oder mich selbst verteidigen. Auf einmal war dieses Paradies wie ein Gefängnis, in diesem ich mich nur ganz weit zurückziehen konnte und möglichst versuche nicht aufzufallen, keinem zur Last zu fallen.
Ich fasste wie auch immer den Entschluss, mich in meinem Leben allein durchzuschlagen und mich in Acht zu nehmen. Diese Erkenntnis schien mir zunächst völlig verrückt, denn ich war noch nicht einmal auf dieser Welt.
Mein Entschluss war jedoch damit verbunden, dass ich immer Probleme hatte, auf Menschen zuzugehen und mich auf Beziehungen einzulassen. Er führte dazu, dass ich immer ein latentes Gefühl von Einsamkeit in mir trug und letztlich unbewusst Ereignisse in meinem Leben erschaffte, mir letztlich selbst immer wieder zu beweisen, dass ich mich nur auf mich und niemanden anderes verlassen kann.
Ich glaubte irgendwann, dass ich, wenn ich mich auf jemanden einlasse oder mich mit jemanden zusammentue, ob in Paar- oder auch beruflichen Beziehungen, letztlich am Ende doch immer wieder enttäuscht werde und allein dastehe.
Die Folge war, bzw. ist, dass ich aus dieser Erfahrung offensichtlich schon meine erste Prägung mitbekam und darauffolgend unbewusst mich und mein Leben ausrichtete.
Im Grunde hat sich daraus eine handfeste Bindungsangst entwickelt, was mir nie wirklich bewusst war.
Aufbauend darauf folgten natürlich weitere Lernerfahrungen und mein Leben prägende bzw. meine Persönlichkeit prägende Situationen. Jeder Mensch wächst auch unter systemischen Familieneinflüssen und Beziehungssystemen auf, die letztlich weiterhin die Grundlage für das, was ich glaubte zu sein und wie die Welt zu sein schien, bildeten.